Die Beichte
Über die Häufigkeit von Beichten in der evangelischen Kirche lässt sich schwer Auskunft geben. Das liegt zum einen daran, dass die Beichte sowohl gemeinsam im Gottesdienst als auch im Gespräch unter vier Augen erfolgen kann. Zum anderen aber wird über die Beichte kein Buch geführt. Anders als Taufen, Trauungen und Bestattungen werden Beichten nicht registriert. Wer was wann in wessen Anwesenheit gebeichtet hat, bleibt geheim.
Und das aus gutem Grund. Denn in der Beichte geht es immer um Schuld. Wer beichtet – ob allein oder in Gemeinschaft mit anderen – erkennt Schuld an. Schuld, die durch das eigene Tun und Lassen entstanden sein kann oder aber auch durch die Verstrickung in schuldhafte Verhältnisse und Umstände.
Menschen erkennen und beklagen in der Beichte, dass ihr Verhältnis zu Gott und zu den Menschen durch Schuld beeinträchtigt oder beschädigt ist. Dabei sind in geistlicher Hinsicht nicht die einzelnen schuldhaften Taten oder Unterlassungen entscheidend, sondern ihre Betrachtung als das, was sie vor allem sind, nämlich: Störungen oder gar gefühlte Abbrüche der eigenen guten Beziehungen zu Gott und der Mitwelt. In der Beichte kommt also zur Sprache, was uns durch unsere Schuld von Gott trennt. In der Beichte geht es um Sünde.
Im Unterschied zu einem Geständnis von Verfehlungen vor gesetzeshütenden Instanzen ist die Beichte im Kern ein Gebet. Die Beichtenden wenden sich mit dem, was sie auf dem Herzen haben, an Gott selbst. Pastorin oder Pastor unterstützen die Beichtenden lediglich dabei, die jeweiligen Anliegen in Begriffe zu fassen und zur Sprache zu bringen. In einem Einzelgespräch sind dabei die Grenzen zwischen Seelsorge und der „Amtshandlung Beichte“ oft sehr fließend.
In der gemeinsamen Beichte im Gottesdienst werden für das Bekenntnis von Sünde Formulierungen gebraucht wie die folgende: „Barmherziger Gott, wir bekennen, dass wir in Sünde gefangen sind und uns nicht selbst befreien können. Wir haben gegen dich gesündigt in Gedanken, Worten und Werken durch das, was wir getan, und durch das, was wir unterlassen haben. Wir haben dich nicht von ganzem Herzen geliebt, wir haben unseren Nächsten nicht geliebt wie uns selbst“.
Dem Sündenbekenntnis folgt die Bitte um Gottes Erbarmen und Vergebung. „Richte mich Gott, aber verwirf mich nicht!“, ist eine der in der Beichte im Gottesdienst gern verwendeten Formulierungen, ebenso: „Vergib uns, erneuere uns und leite uns, dass wir Freude haben an deinem Willen und auf deinen Wegen gehen zur Ehre deines heiligen Namens“.
In der Beichte bleibt die Gebetsbitte nicht ohne Antwort, denn zu jeder Beichte gehört der Zuspruch der Vergebung. Sie ist das Entscheidende in der Beichte, und ihr Zuspruch ist nichts anderes als eine besondere Form der Verkündigung des Evangeliums.
Nachdem sich der beichtende Mensch Gott zugewandt hat, wird ihm (erneut) zugesprochen, was uns Gott in der Taufe zugesagt hat, nämlich Vergebung der Sünden und Befreiung von der Macht des Bösen. So steht am Ende der Beichte Gottes befreiende Einladung, losgelöst („Absolution“) von allem, was unsere gute Beziehung zu Gott und Mitwelt stören oder beschädigen will, ganz neu zu beginnen. In der Beichte steckt Gottes Hilfe zum Leben. Welcher Christenmensch wollte darauf verzichten!
Martin Haasler